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Weltformen

Alke Reehs Notizen zu Ost und West

Dr. Tayfun Belgin

Die Werke der Serie Von Kuppeln und Tassen provozieren geradezu folgendes Szenario: Es treffen sich irgendwo im Osten islamische und christliche Würdenträger, um gemeinsam ein Museum für Volkskulturen zu besuchen. An einer bestimmten Vitrine halten sie inne, denn hier offenbart sich ein lang gehütetes Geheimnis in einer sehr anmutigen Form. Ausgestellt sind Tassen, deren innere Wölbung nicht nur bekannte Ornamente zeigen, sondern auch Abbildungen von Kuppeln aus Tempeln, Kirchen und Moscheen. Eine romanische Kirche offenbart in der Kuppel der Vierung, also im Zentrum der Vereinigung aller Himmelsrichtungen, eine wunderbare sakral-ornamentale Form, die derjenigen aus der Kuppel einer Moschee aus etwa der gleichen Zeit entspricht. Beide spirituellen Welten entwickelten gemeinsame Formen, die in einem zusammen erlebten Moment ohne Worte eine verbindende Harmonie auszulösen vermag. Die Kuppel ist das gemeinsame Dach unter dem gepredigt wird, ganz gleich welche Form und Gestalt diese Predigt auch annehmen mag.

Alke Reeh schafft in ihrer Foto-Serie Von Kuppeln und Tassen eine ideale Welt, in deren Formenreichtum man als Betrachter gerne versinkt. Das Interesse der Künstlerin gilt hierbei vor allem der gemeinsamen Sprache des Designs, des Dekors, der Form von Gebäuden und Gemälden schlechthin. Der Islam, ebenso das Judentum, bevorzugt keine figürliche Darstellung, da Gott für sie nicht darstellbar ist. Insofern entwickelten die Moslems eine ausgeklügelte filigrane Welt von Formen, die durch ihre innere Harmonie und ihre Perfektion immer einen Bezug zum Weltenschöpfer hat. Die Einheit der Form entspricht der Einheit des Glaubens, des Glücks, der Schönheit. Figürliche Kunst im Sinne des Abendlandes kann daher kein Inhalt dieser abstrakt erscheinenden und doch von konkreten Linienformen lebenden Kunst sein. Höchstens das Pflanzenreich mit seinem unendlichen Reichtum an Formenvielfalt steht in Korrespondenz mit dem Glauben.

Alke Reehs Interesse für Formen dieser Welt zeigt sich in verschiedenen Medien: in ihren neueren Häkelarbeiten, Wandplastiken und Bodenobjekten. Schon in Röcke und Schnittmuster hatte sich ihre Begeisterung für konkrete und virtuelle formale Umhüllungen geäußert. Die Künstlerin schöpft aus einem Repertoire von Weltformen, die trotz unterschiedlicher medialer Gestaltung eine gemeinsame innere Sprache haben. Sie spürt diese kollektiven Formen auf, um sie auf sehr unterschiedliche Art und Weise in ihre Kunst zu integrieren. Wie sie selbst äußert, ist ihr die Verschiebung von Blickwinkeln wichtig. So werden vertraute Formen, weil sie eben so unaufgeregt vertraut sind, in einen anderen Zusammenhang gebracht, der sie gleichsam neu entstehen lässt. Kulturzusammenhänge spielen dann gar keine Rolle mehr, denn die Welt der Formen ist letztlich autonom und lässt sich nicht mit Gewalt einnehmen. Wer wie Alke Reeh diese Formen in den Formen sieht, öffnet sich eine neue Welt der Zusammenhänge und somit eine neue Weise der Betrachtung.